"Ich hatte Angst vor dem Unterricht, weil ich Französisch nicht gut verstand. Darum habe ich mich kaum hingetraut", erzählt die zehnjährige Fatou aus dem Senegal. Ihre Muttersprache ist Wolof, die am weitesten verbreitete Lokalsprache im Senegal. Wie in vielen afrikanischen Ländern ist die Schulsprache nicht die Sprache, die die Schüler im Alltag sprechen. Meist unterrichten die Lehrer auf ehemaligen Kolonialsprachen. Im Senegal ist die einzige offizielle Staatssprache immer noch Französisch, obwohl das nur wenige Senegalesen flüssig beherrschen. Laut einer Schätzung der internationalen Organisation der Frankophonie sind es knapp 4,3 Millionen Sprecher - weniger als ein Drittel der Bevölkerung.
Die meisten Senegalesen sprechen oder verstehen Wolof, so wie Fatou. DW-Korrespondent Lamine Ba erklärt, dass gerade diese Sprache auf nationaler Ebene durch die Medien gefördert wurde: "Das geht auf das Aufkommen des audiovisuellen Sektors in Senegal zurück", sagt er. Viele Radio- und Fernsehstationen bieten Programme in Wolof an. "Wolof wurde in diesem Bereich die meiste Zeit benutzt, während das Land tatsächlich ungefähr 20 Landessprachen beheimatet", sagt Ba. Zwei weitere Sprachen, Pulaar und Serer, haben ebenfalls mehrere Millionen Sprecher. Die Sprachen sind nur teilweise auf bestimmte Regionen beschränkt - gerade in Ballungsgebieten treffen sich unterschiedlichste Sprachen auf kleinstem Raum. Für das Schulsystem die nächste Schwierigkeit: Welche Sprache sollte wo unterrichtet werden?
Lesen lernen in der Fremdsprache: für viele unmöglich
Wolof als einzige Unterrichtssprache? Das sieht Ba kritisch: "Für viele Senegalesen, die nicht der Wolof-Kultur angehören, besteht heute im Senegal eine reale Gefahr des Aussterbens bestimmter Nationalsprachen, wenn nichts unternommen wird", sagt er. Diese Bevölkerungsgruppen empfänden die Verbreitung des Wolof als eine Art kulturelle Aggression, als Rückentwicklung ihrer eigenen kulturellen Identität.
Die Regierung Senegals plant seit vielen Jahren Projekte zur Förderung der Nationalsprachen. Allerdings werden diese Pläne immer wieder von Ministerium zu Ministerium geschoben. Gerade kümmert sich vor allem das Bildungsministerium wieder um die Lokalsprachen.
Ein Projekt der internationalen Organisation der Frankophonie in Zusammenarbeit mit dem senegalischen Bildungsministerium fördert bilingualen Unterricht, so wie in Fatous Klasse. Die 10-jährige Senegalesin ist erleichtert: "Mit meinen Büchern kann ich die Wörter jetzt verstehen, sie sind auf Wolof und auf Französisch übersetzt. Jetzt verstehe ich beide Sprachen." Auch für ihre Klassenlehrerin, Coumba Dieng, ist der zweisprachige Unterricht ein Fortschritt: "Es macht einen sehr großen Unterschied. In jedem Test sehen wir, dass die Schüler der bilingualen Klassen besser abschneiden als die Schüler aus regulären französischsprachigen Klassen."
Auch die US-amerikanische Hilfsorganisation USAID arbeitet mit dem senegalesischen Bildungsministerium zusammen. Im Programm "Lecture pour tous" (zu Deutsch: Lektüre für alle) sollen Kinder in den ersten drei Schuljahren in Lokalsprachen lesen lernen - danach erst wird komplett auf Französisch unterrichtet.
"Wir haben ein paar Lesetests durchgeführt", sagt David Bruns, der für USAID im Senegal arbeitet. Das Ergebnis: Viele Kinder konnten nach der zweiten Klasse noch nicht lesen. "Das haben wir als großes Problem identifiziert. Wenn du nach der zweiten Klasse nicht lesen kannst, ist es kaum mehr aufzuholen", sagt Bruns. Weitere Forschungen zu den Gründen dafür zeigten: Die Kinder sollten auf Französisch lesen lernen, obwohl sie zuhause eine andere Sprache sprechen.
Die Organisation begann daraufhin in Zusammenarbeit mit dem senegalesischen Ministerium Lehrmaterialien in Lokalsprachen zu entwickeln und Trainings für Lehrer anzubieten. Seit diesem Jahr können bereits einige Kinder aus sechs der 14 Regionen Senegals in ihrer Lokalsprache lesen lernen. "Momentan erreichen wir 4000 Schulen, das sind etwa eine halbe Million Kinder", sagt David Bruns.
Besser vorbereitet auf den Arbeitsmarkt
"Bevor wir angefangen haben, haben wir sozusagen eine Sprachenlandkarte erstellt: Wir sind zu den Schulen gegangen und haben herausgefunden, welche Sprachen dort gesprochen werden. Und wir wollten auch sichergehen, dass die Lehrer der ersten und zweiten Klassen diese Sprachen sprechen", erklärt David Bruns. Bis zum jetzigen Zeitpunkt stellt USAID Materialien in den Sprachen Wolof, Serer und Pulaar bereit. Nächstes Jahr soll es dann erste Ergebnisse über den Erfolg des Projekts geben. Danach werde das Ministerium entscheiden, ob und wie das Projekt weitergehen soll, sagt Bruns.
Für den Journalisten Lamine Ba ist klar: Wenn die Kinder Lesen in Lokalsprachen lernen, kann ihnen das auch später im Berufsleben helfen. Auch da seien Menschen mit verschiedenen Sprachen konfrontiert. "Wenn jemand mit mir spricht, kann er Pulaar oder Mandinka oder Wolof benutzen", sagt Ba. Träfen sich jedoch Menschen aus unterschiedlichen Sprachgruppen, dominiere wieder Wolof.
Mitarbeit: Kossivi Tiassou, Emmanuelle Landais
Author: Jeremiah Reyes
Last Updated: 1703199603
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